Tücken der Mehrwertsteuer

Gras mit Tau und Wassertropfen

Grundsätzlich sind die Heilbehandlungen von Therapeut*innen der Komplementärmedizin nicht mehrwertsteuerpflichtig, sofern eine kantonale Berufsausübungsbewilligung vorhanden ist. Sobald sich Therapeut*innen zu Gemeinschaftspraxen zusammenschliessen oder Infrastruktur gemeinsam mit anderen Gesundheitsdienstleistenden nutzen, ist Vorsicht geboten.

Art. 21 des Mehrwertsteuergesetzes führt die Leistungen auf, welche von der Steuer ausgenommen sind. Darunter fallen insbesondere die Leistungen des Gesundheitswesens. Wer solche Leistungen erbringt, muss keine MWST auf den erbrachten Leistungen abrechnen, kann aber im Gegenzug die angefallenen Vorsteuern auf Aufwendungen und Investitionen nicht geltend machen.

"Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von Naturärzten und Naturärztinnen" sind gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziffer 3 MWSTG von der Steuer ausgenommen, aber nur bei Vorhandensein einer Berufsausübungsbewilligung.

Diese Regelung gilt demnach für Komplementärtherapeut*innen und Naturheilpraktiker*innen, sofern eine kantonale Berufsausübungsbewilligung oder eine explizite Zulassung zur "Ausübung der Heilbehandlung" vorliegt, siehe Art. 35 MWSTV. Sie gilt zudem nur für Heilbehandlungen, siehe Art. 34 MWSTV.  "Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen, die der Hebung des Wohlbefindens oder der Leistungsfähigkeit dienen" gelten nicht als Heilbehandlungen. Die Abgabe von Medikamenten oder von medizinischen Hilfsmitteln unterliegen dem reduzierten Satz, ausser, sie werden von der behandelnden Person im Rahmen der Heilbehandlung verwendet. 

Risiken bei der Infrastrukturnutzung in Gruppenpraxen

Gesundheitspraxen werden zunehmend durch mehrere Therapeut*innen als Gruppenpraxen geführt. Die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur oder Personal und Aufteilung von Kosten werden dabei oft von der MWST ausgenommen. Das Mehrwertsteuergesetz bestimmt in Art. 21, Abs. 2 Ziff. 6, dass Dienstleistungen von Gruppenpraxen grundsätzlich von der MWST ausgenommen sind, soweit es sich beim Zusammenschluss um einzelne Therapeut*innen im Rahmen einer einfachen Gesellschaft handelt. Die Tücke steckt im Detail der vertraglichen Vereinbarung der gemeinsamen Infrastrukturnutzung. Für Praxisgemeinschaften in Form juristischer Personen (GmbH oder AG) und Personengesellschaften (Kommandit- oder Kollektivgesellschaften) gilt diese Mehrwertsteuerausnahme nicht.

Die von der Gemeinschaft für die einzelnen Gesellschafter zu erbringenden Dienstleistungen, welche nicht unmittelbar der Ausübung der Heilbehandlungstätigkeit der Gesellschafter dienen, sollten somit grundsätzlich als der Mehrwertsteuer unterliegend betrachtet werden. Zu versteuern sind somit z. B. die Personalkosten, Apparate und Einrichtungen, Sterilisationsarbeiten, Miete, Hardware und Software, etc.

Fallbeispiel

Die Ärztinnen (A), (B) und (C) führen gemeinschaftlich eine Hausarztpraxis. Alle drei Ärztinnen sind als Einzelunternehmerinnen tätig und rechnen individuell mit den Krankenkassen über die gegenüber den Patient*innen erbrachten Leistungen ab. Die Praxisräume mieten die Ärztinnen gemeinsam und auch die Beschaffung der notwendigen Infrastruktur erfolgt gemeinschaftlich. Ebenso ist das Praxispersonal von allen drei Ärztinnen gemeinsam angestellt. Gemäss dem zwischen den Ärztinnen abgeschlossenen Gesellschaftervertrag werden die anfallenden Kosten den drei Gesellschafterinnen anteilsmässig ohne Zuschlag belastet.

Ärztin C erreicht das Pensionsalter und will ihre Position in der Gemeinschaftspraxis an den jungen Arzt (D) übertragen. Dr. D möchte nicht als Einzelunternehmer seine Leistungen anbieten und hat zu diesem Zweck die D. Gesundheits AG gegründet.

Mehrwertsteuerliche Folgen

Mit der Zusammenarbeit schlossen sich A, B und C zu einer einfachen Gesellschaft zusammen. Diese einfache Gesellschaft ist zwar ein potenzielles Mehrwertsteuersubjekt. Allerdings hat das Gesetz eine Ausnahme von der Steuer vorgesehen (Art. 21 Abs. 2 Ziff. 6 MWSTG). Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahme ist, dass die angefallenen Kosten den Gesellschafterinnen zu Selbstkosten (d. h. ohne Zuschlag) weiterbelastet werden und es sich bei den Gesellschaftern um natürliche Personen handelt.

Will nun Dr. D mit seiner D. AG dieser Gemeinschaftspraxis beitreten, so hätte dies mehrwertsteuerlich erhebliche Konsequenzen. Besteht die einfache Gesellschaft für den gemeinsamen Bezug von Leistungen nicht mehr ausschliesslich aus natürlichen Personen, sind die unter den Ärzt*innen gegenseitig weiterbelasteten Leistungen nicht mehr von der Steuer ausgenommen. Dies hätte zur Folge, dass die Gemeinschaft je nach Umsatzhöhe mehrwertsteuerpflichtig werden kann Die Leistungen an die Patient*innen bleiben weiterhin von der Mehrwertsteuer befreit.

Fazit: Bevor eine Leistung als von der MWST ausgenommen codiert wird, sollte ein MWST- Spezialist die Ausgestaltung und Rechnungsstellung hinsichtlich der MWST-Vorgaben prüfen. Auch bei bestehenden Praxisgemeinschaften empfiehlt es sich, die Gesellschafts- und Organisationsform von einer Fachspezialistin überprüfen zu lassen.

Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsdienstleistern

Werden eigene Räumlichkeiten zur Erweiterung des Angebots an andere, selbständige Gesundheitsanbieter wie beispielsweise Akustiker oder Orthopädisten vermietet, lauern mehrwertsteuerlich grosse Gefahren. Es stellt sich die Frage, ob die an sich selbständigen Mieter ihre Tätigkeiten aus Sicht der Mehrwertsteuer tatsächlich selbständig ausüben. Gemäss Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung sind dazu unter anderem ein eigener Telefonbucheintrag, ein eigens angeschriebener Eingang sowie ein eigener Internetauftritt notwendig. Sobald ein gemeinsamer Internetauftritt genutzt wird die Räumlichkeiten nur über einen gemeinsamen Eingang erreichbar sind oder die Patient*innen an einem gemeinsamen Empfang begrüsst werden, besteht das Risiko, dass die Steuerverwaltung von einem gemeinsamen Auftritt nach aussen ausgeht. Entsprechend werden in diesem Fall hinsichtlich der Mehrwertsteuerpflicht die Umsätze der Parteien zusammengefasst. Überschreiten die Parteien zusammen die Obergrenze von CHF 100‘000, werden sie mehrwertsteuerpflichtig, auch wenn sie einzeln unter diesem Grenzwert bleiben. Sie werden zusammen als einfache Gesellschaft behandelt.

Auch hier empfiehlt es sich, die Situation vorgängig von einer MWST-Spezialistin überprüfen zu lassen.